Barrierefreiheit
Normung

Barrierefreiheit

Der internationale Standard ISO 5727 beschreibt Prinzipien und eine Methodik, wie im Falle der barrierefreien Verbesserung bzw. Renovierung eines Kulturdenkmals vorzugehen ist. Das diesem Standard zu Grunde liegende Basisdokument war vorher in Spanien bereits als Norm veröffentlicht. Im Rahmen des technischen Komitees 59, Subkomitee 16 wurden umfangreiche Verbesserungen dieser spanischen Norm vorgeschlagen und weitestgehend akzeptiert. Im Rahmen der Working Group 4 lag ein besonderer Fokus auf Access Statement, und Good Practices. „Access Statement“ ist ein in Großbritannien eingeführtes Informationstool, welches die Besucherinnen und Besucher mit Behinderungen über den vorhandenen barrierefreien Zugang von Geschäften, Hotels, etc informiert. In dieser neuen internationalen Norm wird der Access Guide definiert und verwendet. Diese öffentliche Information für die Besucherinnen und Besucher eines Kulturdenkmals ist im Anhang D der Norm (informative) Publicly Available Accessibility Information – Access Guide näher beschrieben. Die im Frühjahr 2024 stattgefundene Abstimmung des Entwurfs der ISO/DIS 5727 fand 100 % Zustimmung in den 17 teilnehmenden Länder. Sämtliche in diesem Prozess eingebrachte Kommentare von ANEC und ASI wurden akzeptiert bzw. mit geringfügigen Modifikationen teilweise akzeptiert. Die finale Version der ISO 5727 wurde schlussendlich im späten Oktober 2024 publiziert.

Auf nationaler Ebene arbeiten wir aktiv an der Schaffung der neuen ÖNORM B 1604 mit. Diese Norm soll die bisherigen spezifischen Normen (ÖNORMEN B 1601 bis 1603) zusammenfassen, aufgrund geänderter Vorgaben aktualisieren und in Zusammenschau mit der Europäischen Norm EN 17210 (siehe oben) eine Kohärenz zwischen nationalen und europäischen Standards schaffen. Die betroffenen ÖNORMEN enthalten Standards zur Barrierefreiheit von Gesundheitseinrichtungen, Bildungseinrichtungen, Tourismus und Freizeiteinrichtungen, welche die Grundnorm zu den Planungsgrundlagen barrierefreien Bauens für die einzelnen Bereiche spezifizieren.

EN 17210 – Umgebungen für alle in ganz Europa

Seit 2021 gibt es in allen europäischen Ländern, die gemeinsame Norm für barrierefreies Bauen. Der Weg zur Einigung auf einen europaweit einheitlichen Standard war schon ziemlich lang und steinig. Das Jahr 2025 brachte bereits eine neue Herausforderung: Die EN 17210 muss so überarbeitet werden, dass sie künftig die technischen Vorgaben zum Erfüllen des European Accessibility Act im baulichen Bereich auf den Punkt bringt.

Europäische Einheit und regionale Vielfalt unter einem Hut

Um im Bauwesen für dieselbe Sache im Detail unterschiedliche Vorgaben zu finden, brauchen wir gar nicht weit zu schauen oder lang zu suchen. Schon innerhalb von Österreich sind Bauvorschriften genauso wie die gelebte Praxis von Bundesland zu Bundesland verschieden. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass es in innerhalb der Europäischen Union ein mindestens genauso großes Spektrum an Vorgaben und Vorstellungen gibt, wie gebautes Umfeld aussehen muss – nicht zuletzt in puncto Barrierefreiheit.

Dieser Umstand hat das Vorhaben, eine europäische Norm für barrierefreies Bauen zu entwickeln, sehr schwierig gemacht, denn die Veröffentlichung einer solchen EN führt dazu, dass die europäischen Staaten sie als nationale Norm übernehmen, ihre bestehenden Normen zum selben Thema zurückziehen und eventuelle Widersprüche in Normen zu verwandten Themen beseitigen müssen. Dass zum Beispiel ein Land in seiner Norm steilere Rampen, schmalere Türen oder niedrigere Kontrastwerte zulässt als ein anderes, wäre dann innerhalb Europas nicht mehr möglich.

Die Lösung, mit der es doch geklappt hat, besteht darin, dass genau solche konkreten Werte in der EN 17210 nicht festgelegt wurden. Es gibt darin ausschließlich sogenannte funktionelle Anforderungen. Das bedeutet, dass es zum Beispiel die Vorgabe gibt, dass die Neigung einer Rampe „angemessen“, die lichte Breite einer Türe „ausreichend“ oder der Kontrast einer Markierung „hoch“ sein muss. Was aber „angemessen“, „ausreichend“ oder „hoch“ jeweils in Zahlen ist, definiert die EN 17210 nicht. Anders gesagt: Sie lässt es offen und ermöglicht dadurch den einzelnen Staaten, diese sogenannten technischen Spezifikationen individuell zu regeln. So liefern beispielsweise in Österreich die ÖNORM B 1600, und weitere österreichische Normen die messbaren Werte als Ergänzung zur ÖNORM EN 17210. Für jene Bereiche, die bei uns derzeit noch nicht ausreichend abgedeckt sind, wird die ÖNORM B 1604 entwickelt, die diese Lücken füllen soll.

Konformitätsbewertung: Checkliste ohne Umschweife

Solange es um Normen geht, die von ihrem Grundwesen her zwar den anerkannten Stand der Technik repräsentieren, aber von der Verbindlichkeit her lediglich Empfehlungen sind, funktioniert das System mit den einheitlichen funktionellen Anforderungen und individuell geregelten technischen Spezifikationen gut. Sobald die Norm aber die Mindestanforderungen definieren soll, um ein EU-Gesetz zu erfüllen, tut es das nicht mehr.

Genau das ist nun im Zusammenhang mit dem European Accessibility Act (der Barrierefreiheitsrichtlinie) der Fall. Obwohl bauliche Barrierefreiheit generell nicht Gegenstand dieser EU-Richtlinie ist, gibt es Anhang III. Darin geht es darum, nicht nur die betroffenen Produkte und Dienstleistungen selbst barrierefrei zu gestalten, sondern auch deren unmittelbare Umgebung. Ein Bankomat müsste dann beispielsweise nicht nur barrierefrei bedienbar, sondern auch erreichbar sein. Die EU-Mitgliedsstaaten konnten entscheiden, ob sie diesen Anhang III in ihr nationales Gesetz aufnehmen oder nicht. Fast alle haben sich bis jetzt dagegen entschieden. Dennoch, für den Fall, dass diese Bestimmungen erfüllt werden, braucht es einheitliche Vorgaben, wie eine solche barrierefreie Umgebung im Sinne des Gesetzes aussehen muss. Für diese sogenannte Konformitätsbewertung braucht es konkrete Werte, die die EN 17210 nach einer entsprechenden Überarbeitung gemäß Normungsauftrag Mandat M/587 der Europäischen Kommission als harmonisierte Norm bereithalten soll.

Herausforderung angenommen: Anhang A für Anhang III

Die Arbeitsgruppe CEN/CENELEC/JTC 11/WG 1, die mit der Überarbeitung der EN 17210 beauftragt wurde, beantwortet die Frage nach dem „Wie“ mit einem Anhang zur bestehenden Norm, der explizit zur Anwendung im Zusammenhang mit Anhang III des European Accessibility Act vorgesehen ist. Dieser Anhang A soll für die Mindestanforderungen baulicher Barrierefreiheit messbare Werte enthalten, die dann im vorgesehenen Anwendungsfall für alle EU-Staaten gleich sind. Für diese Lösung hat man sich entschieden, damit das sorgfältig ausgetüftelte System mit dem Zusammenwirken der EN mit nationalen Normen grundsätzlich weiter bestehen kann. Würden die ausgewählten Werte direkt im Text eingefügt, wäre die gesamte Norm sehr schwer lesbar und Probleme bei der Umsetzung wären vorprogrammiert.

Die Fachstelle bringt sich bei der Überarbeitung sowohl direkt in der zuständigen europäischen Arbeitsgruppe als auch im österreichischen Spiegelkomitee aktiv ein. Besonders wichtig ist uns dabei, dass der neue Anhang so gestaltet wird, dass er als die „Checkliste“, die er sein soll, wirklich gut funktioniert, aber gleichzeitig alle Mindestkriterien enthält, die es braucht, um die umgesetzten Gebäude und Umgebungen berechtigt als „barrierefrei“ bezeichnen zu können. Dafür werden wir uns auch im nächsten Jahr, in dem die Arbeit daran auf Hochtouren weitergehen wird, einsetzen.

Aufzüge – Erhebende Momente in der Normungsarbeit

Auch, wer sich noch nie mit baulicher Barrierefreiheit beschäftigt hat, weiß: Stufen sind ein No-Go. Aber was, wenn man einem Gebäude mehr als nur ein Erdgeschoß verpassen will? Da kommt man um – wohlgemerkt barrierefrei gestaltete – Treppen nicht herum. Und für alle, die doch irgendwie drumherum kommen müssen, braucht man einen Aufzug. Damit der auch tatsächlich seine Aufgabe erfüllt, für Barrierefreiheit zu sorgen, muss er selbst barrierefrei gestaltet sein.

Gutes Recht: Europaweite Vorgaben

Für Aufzüge, genauer gesagt die Anforderungen an „Gesundheitsschutz und Sicherheit“, gibt es auf europäischer Ebene die Richtlinie 2014/33. In Verbindung damit gibt es eine Reihe harmonisierter europäischer Normen, die sich mit verschiedenen sicherheitsrelevanten Aspekten der Konstruktion und Gestaltung von Aufzügen beschäftigen. Sie müssen den Anforderungen des Normungsauftrags Mandat M/549 der Europäischen Kommission entsprechen.

Die EN 81-20 beschreibt die allgemeinen Sicherheitsanforderungen. Darunter sind auch einige Barrierefreiheitsanforderungen. Der Großteil zum Thema Barrierefreiheit ist aber in der EN 81-70 geregelt, die sich explizit mit der Barrierefreiheit von Aufzügen befasst. Ob und wie viele Aufzüge in einem Gebäude barrierefrei ausgeführt sein müssen, ist übrigens gesetzlich nicht einheitlich geregelt. Die Aufzugsnormen beziehen sich nur auf den Aufzug selbst. Anforderungen an die unmittelbare Umgebung, die für die barrierefreie und sichere Nutzbarkeit von Aufzügen ebenso wichtig sind, sind Gegenstand der Normen für barrierefreies Bauen – zum Beispiel die Bewegungsfläche vor einem Lift.

Fokus auf Evakuierung und adäquaten Barrierefreiheitsanforderungen

Ein großer und lange erwarteter Schritt war 2025 die Publikation der EN 81-76. In dieser Norm geht es um die Evakuierung von Personen mit Behinderungen. Nach langer, umfassender und gewissenhafter Überarbeitung im Juli wurde sie endlich veröffentlicht. Die Fachstelle konnte diesen Prozess im Rahmen der Mitarbeit in der zuständigen CEN/TC 10/WG 6 ab einem Punkt mitverfolgen, wo der Entwurf bereits fertiggestellt war. Dennoch blieb es bis zum Schluss spannend, da die Norm die erste von vielen war, bei der seitens der Europäischen Kommission großer Wert darauf gelegt wurde, Anforderungen an die bauliche Umgebung aus den harmonisierten und damit gesetzlich verbindlichen Teilen herauszunehmen. Obwohl diese Vorgabe insgesamt problematisch ist, kann man es als Erfolg werten, dass die Lösung, diese Anforderungen zumindest als normativen Anhang in der Norm zu behalten, akzeptiert wurde und nun bei weiteren Normen der Reihe analog angewandt werden kann.

Das zweite große Betätigungsfeld im Zusammenhang mit Aufzügen ist die bereits genannte EN 81-70, bei der es trotz einiger Verbesserungen in den letzten Jahren noch immer viel Luft nach oben gibt. Die große Herausforderung besteht hier darin, die Vorstellungen und Erfahrungen der Hersteller davon, was möglich und vermarktbar ist, mit den Kriterien, die für eine barrierefreie Nutzbarkeit unverzichtbar sind, unter einen Hut zu bringen. Im zweiten Halbjahr 2025 wurde beschlossen, die EN 81-70 als ISO 8100-7 zu übernehmen. In der Folge wurde die zuständige CEN/TC 10/WG 7 damit beauftragt, die Überarbeitung dieser Norm unter Einbeziehung zusätzlicher Vertreter:innen aus Ländern außerhalb Europas durchzuführen. Ziel ist es, die Norm nach Fertigstellung als EN ISO 8100-7 zu übernehmen, die dann die EN 81-70 ersetzt. In Österreich ist sie dann als ÖNORM EN ISO 8100-7 in Kraft.

Aussicht auf Mehr: Ziele für die Zukunft

Die Überarbeitung der ISO 8100-7 wird 2026 einen wesentlichen Schwerpunkt darstellen. Die Fachstelle ist in der Arbeitsgruppe bei CEN sowie im Spiegelkomitee bei ASI aktiv vertreten und mit Expert:innen aus anderen Ländern gut vernetzt. Nachdem die EN 81-70 in den letzten Jahren laufend weiterentwickelt wurde und einige Erfolge verzeichnet werden konnten, gilt es nun, einerseits Rückschritte zu vermeiden und andererseits die Chancen auf weitere Verbesserungen zu nutzen, die die veränderten Voraussetzungen möglicherweise mit sich bringen.

Abgesehen davon muss man im Blick behalten, dass im Sinne der UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und der darin beschriebenen Auffassung von Barrierefreiheit als „Universal Design“, das eigentliche Ziel ist, Barrierefreiheitsanforderungen als Grundanforderungen für alle Aufzüge zu definieren. Die Fachstelle hat sich bereits 2025 an einem Konsultationsverfahren zur Richtlinie 2014/33 beteiligt und darauf hingewiesen, dass eine Überarbeitung erforderlich wäre, um dieses Prinzip zu verankern, und wird diese Position weiterhin aktiv vertreten.